Mittwoch, 30. Mai 2007

Zwölf Uhr mittags

Obschon, eine Impression. Brno, ein ganz normaler Tag. Straße: Husova. Menschen, Autos und Bahnen wuseln zwischen Gründerzeit und Jugendstil. Schienen schneiden Kreuzungen. Jeder hat ein Ziel. Eine Kirche thront am Straßenkopf, alles unter sich vereinend. Hektik ist abwesend. Wuseln beschreibt es besser. Mit einem Rohlik in der Hand spaziert N auf der Mainstreet zur Bildungsstaette entlang. Im gemäßigten Fortschritt. Überall klingelt und knarrt es. Die Straße vibriert leicht. Bierdunst aus der nahen Brauerei. Treffender könnte der tschechische Alltag kaum aussehen.

Donnerstag, 24. Mai 2007

Born to be wild - osteuropäische Busfahrer


Einige Sonnen sind nun seit dem letzten Rapport aufs Unwiderbringliche im Strom der Zeit fortgeschwommen. Und, wer lebt, kann vom Leben nicht berichten. Doch nun ist der Moment gekommen, die hitzeschwangere, drueckende Luft in Brno einzuatmen und zurueckzublicken. Zeit, Attendant N's Einsatz in Titos altem Riesenreich zu beleuchten.
Doch halt. Bevor Feder und Tusche gezueckt werden, um vom Balkan zu berichten, muss den letzten verbliebenen Abenteurern Tribut gezollt werden: den Libor Lenkrads, Pavel Pedals und Dragan Drehzahls der oestlichen Hemisphaere.

Unermuedlich sind sie jeden Tag im Einsatz, um Menschen in vom Autosmog verschmutzen Staedten in elektrifizierten Oberleitungskarossen von A nach B zu karren oder Landstriche zu verbinden, in denen "Eisenbahn" aus dem Wortschatz gestrichen wurde. Monotonie und Nichtbeachtung sind ihr Schicksal.
Dabei waere das Leben ohne die Kutscher auf Ledersitzen hier nicht vorstellbar. Besonders in Ueberlandbussen entfalten sie ihr persoenliches Flair und erheben nicht selten einen kuenstlerischen Anspruch an die perfekte Art der Personenbefoerderung.
Men-In-Black Sonnenbrillen werden mit aufgeknöpften, stocksteifgestaerkten Hemden und Lederhandschuhen kombiniert. Türen schwungvoll während der Fahrt zur Belüftung geöffnet.
Daran war N schon gewöhnt. Besonders in Erinnerung blieb ihm jedoch ein slowakischer Busrennfahrer, der sein Cockpit liebevoll mit Kuscheltieren zugebombt hatte. Da hing der Plueschteufel neben dem goldgefluegelten Engel und Dinosaurier zofften sich mit niedlichen Huendchen um die beste Aussicht. Diese jedoch verging ihnen und N gehoerig, als der auf einem Sitzteppich ruhende Buslenker jede Rumpelpiste konsequent als Einbahnstraße missbrauchte - sprich sich grosszuegig in der Mitte der Fahrbahn platzierte. Auch die sanften Hügel und kurvigen Strecken der Ostslowakei wurden dank ihm zur erinnerungswuerdigen Achterbahnfahrt. Staub wurde aufgewirbelte als die Reifen ab und an den Asphalt der Straße verliessen und das Rumpeln des nahenden Grabens die Kuscheltiere schaukeln und schaudern liess. Aber zum Glück hatte der bretternde Buslenker ein silbernes Kreuz am Rueckspiegel haengen. "Amen" dachte N nur noch, als ihm, ob einer im Steilflug genommenen Anhöhe, der Magen in den Unterleib rutschte. Doch die anderen fünf Mitfahrer nach Levoca (1 Hund, 2 Rentner und 2 Frauen mit Enkaufstüten) juckte das alles rein gar nicht. Auch der slowakische Schlager aus den völlig übersteuerten Boxen verschaffte nur zeitweilige Linderung. "Ohhhhhhhhhhh, slovenske zeny." (Hier werden slowakische Frauen gefeiert)

Auf dem aktuellen Trip nach Bosnien, verlegte sich N auf eine 5-stuendige Busreise von Zagreb (Kroatien) nach Klujc. Der Straßenkreuzer war eigentlich ein halber. Dafür gab es zwei Busfahrer, die dann noch doppelt sovielt rauchten, wie der Malboro-Cowboy. Also Kette. Beide hatten wohl im Buergerkrieg gedient und so verwechselten sie die Straßen, die sich ueber die gruenen Hügel des Landes schlaengeln, mit Panzerplatten. Lichthupe an, auf die Gegenfahrbahn wechseln und "pedal to the medal". Wer nicht ausweicht oder abremst ist selbst schuld. Und damit bei den Buscowboys kein Stress aufkommt, macht einer immer Pause. Auf dem "Hundeplatz" hinten im Bus räkelt er sich auf einer Decke und lässt es ordentlich ratzen, während für N an Schlaf nicht zu denken ist (auch wegen des jovial jodelnden Balkanradios). Die aufkommende Frage warum die 250 km Luftlinie-Reise trotz der Bleifuss-Aktionen 5 Stunden dauern soll, wird N baldigst beantwortet. Die Lösung liegt in einer 1-stündigen Kaffeepause der Busfahrer im Straßencafe ihrer Bekannten. Währenddessen wird die Zeit eingefroren und dann wieder ordentlich geheizt.
Was am Ende bleibt ist ein grandioser Höllenritt und die Freude noch am Leben zu sein. Mit taumelnden Schritten verlässt Attendant N den Bus, wo jeder mit muss. Sich eines einzigartigen Erlebnisses gewahr.
Und auch jetzt denkt er an Libor, Pavel und Dragan. Irgendwo auf Schicht im Wilden Osten - die Tachonadel immer Blick - das Lederlenkrad mit den Fingern umspielend - die Frau weit weg zu Hause.
Sie wissen, was Einsamkeit heißt. Und sie tun trotzdem ihre Pflicht. Echte Cowboys eben. Gut, dass es sie gibt.

Tata.

Freitag, 11. Mai 2007

"Tschechei" - o wei

Fahren Sie gerne nach "Rhodesien", zu den "Jugos", nach "Albion" oder "Holland"? Dann willkommen in der "Tschechei" - einem Staat, der nicht existiert.

Den Begriff hoeren die Cowboys ab und an zu Hause in "Brahtworstland" - wie es Redneck Patrick neulich nannte. Selbst auf die Homepage ihrer heimatlichen Bildungsstaette hatte es die "Tschechei" schon als souveraene Nation geschafft...Respekt, dafuer werden die Tschetschenen wohl noch lange bluten muessen.

Verwendet wurde das Wort urspruenglich als Kurzform fuer Tschech[oslowak]ei (die ČSR bzw. ab 1960 die ČSSR, die 1993 in Tschechien und die Slowakei zerfiel). Gerne auch in der Zeit zwischen 1933-45.

Das nur mal am Rande.

Viele Gruesse nach "Preussen"

Dienstag, 8. Mai 2007

"Bez práce nejsou koláce" - aus dem Lerngulag


8. Mai - Es ist Feiertag in Tschechien. Tag der Berfreiung. Doch statt faul auf Graesern zu kauen und bei einem Pivo in der Sonne zu liegen, muessen die Cowboys bueffeln. Lustiges Wortspiel irgendwie....

Und da es "ohne Arbeit keine Kuchen gibt" haben Sheriff M und Attendant N das Slovnik gezueckt und PCs in den Belagerungszustand versetzt. Wenn man denn einen abgreifen kann im Rechenzentrum der Masaryk Uni. Denn offenbar haben die jungen tschechischen Studenten heute am Feiertag nichts besseres zu tun als zu arbeiten. Lange Schlangen bereits vor dem Drehkreuz, das den Eingang zur digitalen Welt bildet.

Und nachdem die Cowboys erstmal drin waren stellten sie fest, dass selbst das W-LAN heute Feiertag hat und der mitgebrachte Laptop getrost im Faultiermodus, sprich Aus, bleiben kann. Die schwuele Luft und der Geruch denkender Koerper tun ihr uebriges um die Lage zu komplizieren und geistige Tiefritte auszuloesen. Und so fuehlen sie sich wie die wahren "Puppets on a string". Ferngesteuert von der Vielzahl der Aufgaben. Im Glauben der Erasmus-Ritt waere nur Party. High Noon naht.

Dann: Ein Baby waelzt sich neben dem Cola-Automaten auf der Erde, ein anderes wird gewindelt. Und daneben Mama und Papa mit Laptop und Babybrei im Anschlag. Modern. Authentisch. Tschechisch. Weniger jedoch die "echten Thueringer Bratwuerste" aus dem Supermarkt mit der dicken bayrischen Landesflagge auf der Packung.

Immerhin hat ein Cowboy so immer was zu erzaehlen, z.B. warum im Vinarska-Treck manche Mitstreiter gluecklich sind, dass sich jetzt nicht mehr alle Erasmus-Cowboys lieb haben oder warum gerade jetzt Clawfinger und Dog Eat Dog in Brno auftreten muessen oder warum Grillen hier so interaktiv ist oder ueber einen anstehenden Besuch von N bei den Landminen in Bosnien.

Aber frei nach Dieter Nuhr: "Wer keine Ahnung hat, soll einfach mal die Fresse halten." Und darum, jetzt erst mal Schluss. Stacheldraht um den eigenen Kopf hochziehen. Pokerblick aufsetzen. Und Ahnung bekommen. Oder zumindest vortaeuschen. Und Lernen, dass die tschechische Wirtschaft aus viel mehr besteht als aus bankrotten Banken, korrupten Croupiers, zugigen Zuegen und windigen Wechselkursen. Und dann ein Kuchen. Na shledanou!

P.S. Die Tage laeuft Hostel 2 in den tschechischen Kinos an...Wer Interesse an, komme gern vorbei! Genial brutal. Und so nah am Leben in Osteuropa, muhaha.

Sonntag, 6. Mai 2007

May I introduce Margot and Hardtmuth to you?

Die Cowboys haben - nach einer legendaeren Rock-Night im ortsansaessigen Titty Twister-Saloon mit DJ Gnadenlos, Haddaway-Zwischenkrachern, anderen Cowboys und einer Menge Drak - mit dem Lernen angefangen.

In den kleinen Herausforderungen des tschechischen Hardware- und Softwarealltags - Seargeant M ist nun in Phase 4 des Kulturschocks - sind Margot, der Schokoriegel und Hardtmuth, der Textmarker, ihr staendiger Begleiter.

Ilmington - Seminar Fachkommunikation - interkulturelle Unterschiede bei Markennamen - da war doch was.

M haette lieber eine Dana und einen Libor. Und einen Ilmenauer introvertierten Informatiker als Nachbarn, der still und unauffaellig vor sich hin programmiert anstatt den Musik-Freak ueber dem Home Sweet Hell im Vinarska, der von Barock bis Stripclub-Saxophon-Musik alles in seinem Repertoire zu bieten hat.

Schubladendenken? Quatsch, M doch nicht! :-P

Donnerstag, 3. Mai 2007

Der ehemalige Klassenfeind im Giana Sisters-Land


"Liebe Freunde und Genossen! Verehrte auslaendische Gaeste! Meine Damen und Herren des Diplomatischen Korps!"

So oder so aehnlich koennte sie angefangen haben, die Begruessungsrede an die westdeutsche Delegation, bestehend aus Genosse M und Genosse S (die Cowboy-Metapher muss hierbei leider weichen, war man doch begleitet von einem alten čSSR-Reisefuehrer, der aus einem Land vor fast unserer Zeit stammte), die sich am Wochenende auf eine viertaegige Reise Praha-Brno-Praha begaben.

Die bereisten tschechischen Schauplaetze stellten zwar keine Counter Strike-Map da, wohl aber die eine oder andere Herausforderung im Giana Sisters-Stil: Hindernisse wie nicht funktionierende Room Cards (natuerlich beim Tragen von Boxer Shorts), verwirrende Beschilderungen, die Eigenschaft grundsaetzlich immer in die falsche Richtung fahren zu muessen, nicht getaetigte Reservations im Hostel, ein komisches Nachtbus-System, Flip Flops bei langen Rueckwegen, Sprachbarrieren, fehlende Ego Shooter in den tschechischen Spielotheken und schliesslich der Endgegner - ein Meat Ball, der Genosse S nicht mit Genosse M in das studentische Intercontinental lassen moechte.
Wie beim C64-Zocken des bekannten Jump'n'Run-Games wurden die Genossen mit einigen Credits entschaedigt: beispielsweise beim Anblick der vielen Englaender bei ihren Stag Nights, den alten Prager Strassen, den Fassaden im juedischen Viertel, dem Blick von der Burg ueber Prag, dem Essen - gut und viel, den vielen Kontrasten in Brno, dem Klassenfahrts-Bierdosen-Feeling, dem Wohnen im Prager Friedrichshain, der Brno-Plattenidylle, der Erkenntnis, wie toll es ist, dass man keinen russischen Auftragskiller im Nacken sitzen hat wie der Typ am Bahnhof.

Der Kapitalismus ruft Dienstag seinen Genossen S wieder zu sich.
Ein Prager Fruehling. Diesmal anders.

Down


Flurfunk im Basislager:

Vor drei Tagen sei ein Student vom Dach des Wohnheims Brno ins Jenseits gestuerzt.

Gut und gerne 40 Meter freier Fall. Ein Unfall. Ein sehr dummer.

War der Becherovka Schuld? Der Fluegelschlag des Schmetterlings? Man wird es nie erfahren.

Bereits beim letzten Barbecue vor wenigen Wochen konnten die Cowboys live und in Farbe bewundern, wie ein paar Lebensmuede aus ihren Fenstern ueber die Bruestung auf das Dach des sozialistischen Raumschiffs geklettert waren...die Bierflasche in der rechten Hand. Den Tod einen Schritt zur Linken.

"Cheers" waren ihre letzten Worte.

Mittwoch, 2. Mai 2007

Pavel aus Usti nad Labem

"Go ahead make my day!" droht Clint Eastwood in Dirty Harry.

Selbiges dachte Attendant N als ihn Pavel aus der boehmischen Metropole unsittlich beruehrte.
Ein ganz leichter Druck nur auf eine sensible Stelle - und dann ein hektisches "Sorry" ob N's abweisender Reaktion. Glueck fuer ihn, das Sheriff M noch in Prag weilte (Report folgt!), sonst waere es wohl nicht nur mit warmen Worten abgegangen.
Pavel war etwa 45 Jahre, roch nach Bier und Schweiss und war in Prag in N's Nachtzug-Abteil gestiegen. Zunächst noch freundlich - Handshake und ein flottes "Ahoj, jsem Pavel. A ty?" N - die ganze Zeit schlaefrig, es war nachts um 3 Uhr, wollte lieber Schafe zaehlen, die Nacht Nacht und Pavel einen guten Mann sein lassen. Doch dann: staendige Dosenbierangebotsversuche, Fragen nach dem Privatleben und unentspanntes Wippen auf der pelzigen Sitzpritsche. Pavel wollte eine Date. Das wurde spaetestens klar als er einen Monolog ueber die Vorzuege 3-maligen Masturbierens pro Woche hielt. "Co znamena" - Was soll/heißt das, die Antwort des voellig entrueckten N.

Pavel ist eigentlich zu bemitleiden. Ein Cowboy ohne Indianer. Sein Colt - geladen und doch ohne Abschuss. Er, harmlos und doch etwas angsteinfloessend. Als er sich in Usti Nad Labem aus dem Zug entfernte ging die Sonne auf. Tiefrot. Wie im Film. Pavel und sein Stoffbeutel gingen ueber den staubigen Weg, der von den Bahnhofsgleisen in die Stadt fuehrte davon. Allein und auf der Suche nach der Liebe.